In der Illegalität besorgte eine Frau aus der Gruppe, mit der Trude Simonsohn
unterwegs war, einen Schein, auf dem sie als nichtjüdische Tschechinnen
ausgewiesen wurden. Das war Elvira.
Ausführlich schildert Trude Simonsohn diesen Abschnitt in ihrer Autobiografie:
»Einmal ist mir in Kurzbach sehr schlecht geworden. Nach der Arbeit bin ich
in die Krankenstation gegangen. Weil ich hohes Fieber hatte, durfte ich dort
bleiben. Das hat mir das Leben gerettet, denn in der Nacht habe ich
furchtbaren Durchfall bekommen, Ruhr, ich weiß nicht genau, was. Die
jüdische Häftlingsärztin hat sich meiner angenommen, sie ist mit mir zur
Latrine gelaufen, allein hätte ich die Nacht nicht überstanden. Ich war noch
sehr geschwächt, als wir Anfang 1945 alle in Marsch gesetzt wurden. In
irgendeinem Ort konnten einige andere und ich einfach nicht mehr weiter. Als
wir dann wieder aufstehen konnten, waren die anderen weg. Wir waren frei.
Wir haben uns dann in einen deutschen Flüchtlingstreck eingereiht. Zufällig
stieß ich dort auf eine Gruppe anderer Illegaler, die auch in Theresienstadt
gewesen waren. In Theresienstadt hatte ich sie nicht gekannt. Wir haben uns
zusammengetan, zehn junge jüdische Frauen unter Deutschen. Wir haben
ausgemacht, wenn jemand fragt: »Wo ist denn euer Gepäck? Wo sind denn eure
Papiere?«, werden wir sagen: »Wir haben alles unterwegs verloren.« Doch
niemand hat gefragt. Alle Leute in dem Flüchtlingstreck waren nur mit sich
selbst beschäftigt, um uns hat sich niemand gekümmert. Es war eiskalt, es
schneite. Hinter uns liefen ein paar alte Leute, für die das alles sicher
noch viel beschwerlicher war als für uns. Einer sagte: »Das ist die Strafe
Gottes für das, was wir den Juden angetan haben.« Das werde ich nie
vergessen. (…)
Trude Simonsohn Noch ein Glück. Erinnerungen. Erschienen im Wallstein-Verlag, S. 88 ff.
Irgendwann sind wir in einen Ort gekommen, in dem wir beinahe doch
aufgeflogen wären. Elvira, die Energischste von uns, ist ziemlich aufgelöst
vom Bürgermeister zurückgekommen. Sie war dort hingegangen, um für uns zehn
Quartier zu machen, wie schon oft zuvor. »Sie sind Jüdin«, hat er zu ihr
gesagt. »Ich werde Sie anzeigen, Sie und ihre Freundinnen. Ich lass euch
erschießen.« Aber dann hat er es sich doch anders überlegt. Es war ja schon
Anfang 1945, und es war abzusehen, dass die Deutschen den Krieg verloren
hatten. Jedenfalls hat er dann das genaue Gegenteil von dem getan, was er
Elvira angedroht hatte. Er hat uns eine Bescheinigung ausgestellt: »Trupp
von zehn Mädchen mit Mannschaftsführerin. Bitte für Unterkunft und
Verpflegung sorgen.« Mit Stempel, Unterschrift und allem Pipapo. Mit diesem
Wisch sind wir dann weitergezogen. Wir sind damit immer zum Ortsbauernführer
gegangen, der hat uns dann in leerstehenden Häusern oder Scheunen ein
Quartier zugewiesen. (…)
Trude Simonsohn Noch ein Glück. Erinnerungen. Erschienen im Wallstein-Verlag, S. 88 ff.
Noch einmal ist es für uns gefährlich geworden. Wieder hatte das etwas mit
Elvira zu tun. Sie war ja in einem anderen Dorf gelandet. Auch dort konnte
sie es einfach nicht lassen. Wieder hat sie einen deutschen Soldaten
becirct, er solle ihr eine falsche Kennkarte ausstellen. Das hat er auch
getan, aber Elvira wurde mit ihr erwischt und verhaftet. Schlimm war, sie
hat eine Liste mit all unseren Namen dabei. Diesmal ist es also wirklich
richtig schief gegangen. Kurz vor Kriegsende, am 5. April 1945, sind wir
zehn doch noch verhaftet worden. Die Gestapo war nicht ohne Häme. »Wenn Ihre
Freundin nicht so leichtsinnig gewesen wäre, hätten Sie hier schön ruhig bis
zum Ende ausharren können.« Wir sind dann noch einmal in ein Lager gekommen,
nach Merzdorf, ein Außenlager des KZ Groß-Rosen. Da sind wir jungen Frauen
begegnet, die wie wir auch in Theresienstadt und Auschwitz gewesen waren.
Sie haben uns angeschaut und überhaupt nicht verstehen können, wieso wir so
anders ausgeschaut haben, uns so anders bewegt haben, so anders miteinander
gesprochen haben als sie. Wir waren auch vollkommen anders, denn im
Gegensatz zu ihnen hatten wir in der Illegalität die Freiheit erlebt.«
Trude Simonsohn Noch ein Glück. Erinnerungen. Erschienen im Wallstein-Verlag, S. 88 ff.